Deutschland steigt aus, und alle atmen auf: Im Jahr 2022 wird das letzte Kernkraftwerk vom Netz gehen. Von da an sollen alternative Energiequellen den Atomstrom größtenteils ersetzen. Ist das deutsche Stromnetz für die „saubere“ Zukunft gerüstet? Wie gut sind die erneuerbaren Energiequellen wirklich?
Einfach den Schalter umlegen und vom Atomstrom auf Ökostrom umschalten – kann das gut gehen? Wohl kaum, sagen viele Experten. Denn um die von der Bundesregierung beschlossene und bereits in Gesetze gegossene Energiewende Wirklichkeit werden zu lassen, braucht es viel mehr als nur ein paar zusätzliche Ökostrom-Kraftwerke. Als Erstes muss das deutsche Stromnetz völlig neu gestaltet werden: Bisher ist das insgesamt 1,7 Millionen Kilometer lange Leitungssystem darauf ausgelegt, dass immer nur so viel Strom ins Netz eingespeist wird, wie gerade benötigt wird. Dieses Gleichgewicht konnte dank der steten Einspeisung aus Atommeilern und Kohlekraftwerken jahrzehntelang ohne größere Probleme gehalten werden.
Instabiles Netz durch Ökostrom
Durch den seit Ende der 1990er-Jahre stetig steigenden Anteil des ins Netz eingespeisten Ökostroms werden die Schwächen dieses Systems deutlich, speziell seit ein Teil der Energie von Windrädern und Solaranlagen erzeugt wird, deren Stromaufkommen wetterabhängig und damit starken Schwankungen unterworfen ist. Das stellt die Netzbetreiber vor erhebliche technische Probleme, da die Stromleitungen nur eine begrenzte Menge Energie transportieren können und nicht in der Lage sind, Strom zu speichern: Wird zu viel Strom eingespeist, können Leitungen überlastet und zerstört werden, ist das Stromaufkommen zu niedrig, kann es zum Leistungsabfall im Netz kommen. Beides zieht mehr oder weniger großflächige Stromausfälle nach sich. Mittlerweile sind die Mitarbeiter der Stromverteilerzentren beinahe täglich mit sogenannten „kritischen Netzsituationen“ konfrontiert, bisher aber konnten größere Stromausfälle vermieden werden. „Von den 900 Kilometern zusätzlichen Leitungen, die in den letzten zehn Jahren hätten gebaut werden sollen, sind bisher nur 80 Kilometer realisiert worden“, erklärt Matthias Kurth, Präsident der Bundesnetzagentur, die unter anderem für die Überwachung des Strommarktes zuständig ist. „800 Kilometer sind noch immer im Genehmigungsverfahren, das dauert erheblich zu lange.“ Denn insgesamt werden in den nächsten Jahren wohl rund 3000 bis 4000 Kilometer neue Leitungen benötigt.
Eine neue Infrastruktur ist nötig
Je größer der Anteil der alternativen Energien an der gesamten Stromproduktion wird, desto dringender der Handlungsbedarf. Damit die von der Bundeskanzlerin als „Herkulesaufgabe“ bezeichnete Energiewende bis zum Jahr 2022 ohne ernsthafte Gefährdung der Netzstabilität in Deutschland geschafft werden kann, müssen alle an der Stromversorgung Beteiligten wie die großen Energiekonzerne, die Netzbetreiber, die Besitzer kleinerer Kraftwerke, die Hersteller und Entwickler von Ökokraftwerken sowie die Behörden ihr Vorgehen koordinieren. Um das deutsche Stromnetz für die nachhaltigen Energien zukunftsfähig zu machen, ist ein ganzes Maßnahmen-Bündel nötig:
Das Stromnetz muss um Tausende Kilometer Leitung erweitert und auf eine größere Anzahl an kleineren Kraftwerken ausgerichtet werden. Es müssen dringend mehr Stromspeicherkraftwerke gebaut und neu entwickelt werden. Es bedarf neuer Hochleistungs-Trassen quer durch die Republik, da ein Großteil des Stroms, den die Windparks im Nordosten Deutschlands erzeugen, erst Hunderte Kilometer entfernt in Süd- und Westdeutschland verbraucht wird. Es müssen neue Hybridkraftwerke entwickelt werden, die überschüssige Energie speichern oder in andere Energieformen umwandeln können und darüber hinaus schnell hoch und runter gefahren werden können.
Die Zukunft heißt Smart Grid
Der Zukunftstraum der Energieversorger ist das Smart Grid – ein „intelligentes“ Stromnetz, in dem die Einspeisung und der Verbrauch an jeder Stelle des Netzes jederzeit präzise ermittelbar sind und das durch ein Netzwerk aus schnell an- und abschaltbaren Kraftwerken sowie Stromspeichern auf Schwankungen im Netz reagieren kann.
Bis zum Smart Grid ist es aber noch ein weiter und viele Milliarden Euro teurer Weg. Schon seit Jahren gehen der Ausbau und die Modernisierung des deutschen Stromnetzes nur schleppend und unzureichend voran, vor allem, weil die Energie-Konzerne und die Regierung zu wenig Geld in die Strom-Infrastruktur investieren. Darüber hinaus können die behördlichen Prüf- und Genehmigungsverfahren für neue Stromtrassen und Kraftwerke mehrere Jahre dauern – Zeit, die nicht vorhanden ist. Heute produzieren die erneuerbaren Energien zusammen 16 Prozent des Stromaufkommens in Deutschland (Braunkohle: 23 Prozent, Steinkohle: 19 Prozent, Erdgas: 14 Prozent, sonstige: fünf Prozent). Sollen sie den Atomstrom ersetzen, der rund 22 Prozent des Stromaufkommens ausmacht, müssen unzählige weitere Ökokraftwerke gebaut und ans Netz angeschlossen werden. Dabei haben fast alle auch negative Auswirkungen auf die Umwelt, die umso stärker zum Tragen kommen, je mehr es davon gibt. Solarzellen zu Sondermüll Solaranlagen gehören zu den bekanntesten regenerativen Energieformen. Millionenfach sind sie mittlerweile auf deutschen Hausdächern montiert und speisen Strom ins Netz ein. Die heute üblichen Modelle haben eine Lebenserwartung von 20 bis 40 Jahren, danach müssen sie gegen neue Module ausgetauscht werden. Bei der Herstellung von Photovoltaikanlagen aber kommen größere Mengen Chemikalien und anderer Giftstoffe zum Einsatz. Einige der Sonnenkollektoren wie etwa Dünnschichtmodule auf Cadmium-Tellurid Basis enthalten giftige Substanzen und müssen, wenn sie ausgedient haben, aufwendig als Sondermüll entsorgt oder recycelt werden. Cadmium-Tellurid-Module lassen sich günstiger herstellen als andere, umweltfreundlichere Varianten und sind deshalb weitverbreitet. Photovoltaik-Anlagen bergen eine weitere Gefahr: Fängt eine Solaranlage Feuer, kann es vorkommen, dass die Feuerwehr die Anlage mitsamt dem Gebäude lieber abbrennen lässt, als ihre Leute der Gefahr auszusetzen, beim Löschen einen lebensgefährlichen Stromschlag zu erleiden. Denn die meisten Photovoltaikanlagen stehen auch unter Spannung, wenn ihre Verbindung zum Stromnetz unterbrochen ist. Die Herstellerfirmen sind noch dabei, automatische Trennschalter zu entwickeln, mit denen Solarmodule im Falle eines Brandes gänzlich abgeschaltet werden können. Noch gibt es keine.
Zu wenige Pumpspeicher-Kraftwerke
Voraussetzung für das Stromnetz der Zukunft ist die Möglichkeit, überschüssigen Strom zu speichern. Seit Jahren wird an verschiedenen Modellen der Energiespeicherung geforscht, bis heute existiert nur eine ausgereifte und etablierte Technik: die altbekannten Pumpspeicherkraftwerke, die Energie speichern, indem Wasser aus einem tiefer gelegenen Becken in ein höher gelegenes gepumpt wird. Soll die Energie wieder freigesetzt werden, wird das Wasser einfach bergab geleitet, wobei es Turbinen antreibt, die neuen Strom generieren. Diese Art der Stromspeicherung geht zwar mit einem gewissen Energieverlust einher, mangels Alternativen ist sie momentan aber unersetzlich. Es gibt Dutzende dieser Speicherkraftwerk in Deutschland, es müssten aber noch wesentlich mehr und vor allem größere gebaut werden. Dies geht nicht ohne tiefe Einschnitte in das örtliche Ökosystem. Denn die Wasserbecken, oft ehemalige Naturseen, werden mit Betonmauern erweitert und befestigt, sodass am Ufer keine Pflanzen mehr wachsen können.
Überdies verhindert das regelmäßige Auf- und Abpumpen des Wassers die Entwicklung eines stabilen Ökosystems in den Staubecken. Auch werden Pumpspeicherkraftwerke häufig von Anwohnern als Landschaftsverschandelung empfunden, ihr Bau ist oft von Bürgerprotesten begleitet. Im Baden-Würtembergischen Hotzenwald etwa soll in den nächsten Jahren auf einer Fläche von 150 Hektar das Pumpspeicherkraftwerk „Atdorf“ entstehen, es wäre das größte seiner Art in Deutschland. Längst gibt es eine Bürgerinitiative, die das mehr als eine Milliarde Euro teure Projekt verhindern will aus Sorge um die Folgen für Landschaft und Umwelt und dem daraus womöglich resultierenden Fernbleiben von Touristen und Kurgästen. Ob ihr Protest erfolgreich sein wird, bleibt abzuwarten. Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann hat eine pragmatische Sicht auf den Energiewandel: „Eine Änderung der Industriegesellschaft verändert die Landschaft – das ist der Preis, den wir für den Fortschritt zahlen müssen“, so der erste grüne Landesvater der Republik. „Man kann nicht aus der Atomenergie aussteigen, die Kohleverstromung verdammen, den Wohlstand halten wollen und gleichzeitig fordern: Die Landschaft verändert sich nicht.“
Raubbau „Seltener Erden“ für Windkraftwerke
Proteste gibt es auch immer wieder gegen den Bau von Windkraftanlagen, wenngleich die Akzeptanz der Windräder in den letzten Jahren beständig gestiegen ist. Hauptkritikpunkte der Gegner sind die Verschandelung der Landschaft, die Gefährdung der Vögel (statistisch betrachtet erschlägt jedes Windrad ungefähr einen halben Vogel pro Jahr) sowie gesundheitliche Beeinträchtigungen, die die Nachbarschaft zu Windrädern für manche Menschen mit sich bringen kann, vor allem Nervenleiden durch lärmbedingte Schlaflosigkeit.
Dabei bergen Windkraftwerke noch ganz andere Probleme: Bei ihrer Herstellung werden „seltene Erden“ verwendet, begrenzt vorkommende Metalle, die für die Produktion elektronischer Geräte sowie Komponenten der Windräder benötigt werden. Solche Metalle werden zu mehr als 90 Prozent in China abgebaut, für gewöhnlich unter katastrophalen Bedingungen für Natur und Menschen. Der Abbau der Metalle erfolgt in riesigen Minen unter Einsatz von Chemikalien, die ganze Landstriche verseuchen. Beim Abbau der seltenen Erde Neodym, die in getriebelosen und damit besonders energieeffizienten Windkraftwerken Verwendung findet, wird Radioaktivität freigesetzt.
Monokulturen durch Biogasanlagen
Biogasanlagen sind in ländlichen Regionenweitverbreitet. Sie gewinnen mittels Vergärungsprozessen aus Biomasse Energie und werden wie die Wind- und Solarenergie staatlich gefördert. Die Produzenten bekommen garantierte Preise für ihren erzeugten Strom, für viele Landwirte sind diese Anlagen daher eine willkommene zusätzliche Einnahmequelle. Es gibt inzwischen Betriebe, die sich ausschließlich der Biogasgewinnung widmen. In den letzten Jahren hat ein derartiger Biogas-Boom eingesetzt, dass mittlerweile die Rufe nach einer Beschränkung der Förderung derartiger Anlagen lauter werden. Denn auf immer mehr Ackerflächen werden inzwischen ausschließlich zur Stromerzeugung gebrauchte Energiepflanzen angebaut, allen voran Mais. Es gibt ganze Landstriche, in denen außer Mais fast nichts anderes mehr angepflanzt wird.
Das hat verheerende Auswirkungen auf die dortigen Ökosysteme. Die tierische und pflanzliche Artenvielfalt nimmt in solchen Monokulturen stark ab, und weil Mais sehr stark gedüngt wird, laugt auf Dauer der Boden aus, Düngerrückstände können ins Grundwasser gelangen und so die Wasserversorgung belasten. Umweltverbände fordern bereits ein Ende der staatlichen Biogas-Subvention. „Die dramatische Fehlentwicklung muss gestoppt und die viel zu hohe, zu komplizierte und falsch ausgerichtete Biogasförderung muss abgebaut werden“, meint der Greenpeace-Landwirtschaftsexperte Martin Hofstetter. Zudem haftet Biogasanlagen ebenso wie Biosprit das ethische Manko an, dass sie zur Energiegewinnung Lebensmittel verbrauchen, die in anderen Gegenden der Welt fehlen.
Erdwärme nur schwer nutzbar
Theoretisch ist die in der Erdkruste gespeicherte Wärme eine schier unerschöpfliche Energiequelle. Sie kann sowohl als direkter Wärmelieferant genutzt werden als auch mithilfe eines Geothermiekraftwerks in Strom umgewandelt werden. Um die Erdwärme nutzbar machen zu können, muss die Wärme aus dem Inneren des Erdmantels mithilfe von Bohrungen an die Oberfläche geleitet werden. Dabei wird entweder direkt heißes Wasser aus der Tiefe heraufgepumpt, oder es wird Wasser in warmes Gestein eingeleitet, das wieder abgepumpt wird, sobald es sich erwärmt hat. Theoretisch steckt allein in den oberen drei Kilometern der Erdkruste genügend Wärmeenergie, um die Menschheit die nächsten 100000 Jahre mit Strom zu versorgen. In der Praxis dagegen ist es kein leichtes Unterfangen, Erdwärme nutzbar zu machen. Zwar ist in Ländern wie Indonesien, Mexiko oder den USA Erdwärme bereits ein wichtiger Pfeiler der Energieversorgung, der Energiebedarf der Millionenstadt San Francisco wird nahezu komplett aus Erdwärme gewonnen. Bei uns dagegen ist die kommerzielle Nutzung der Erdwärme zur Energiegewinnung aufgrund ungünstiger geologischer Bedingungen, die Bohrungen in mehreren Kilometern Tiefe notwendig machen würden,bisher kaum verbreitet.
Erst 2008 ging hierzulande mit dem Geothermiekraftwerk Landau in Rheinland-Pfalz ein industrielles Geothermiekraftwer ans Netz. Das Anbohren von Erdwärmevorkommen kann im Extremfall großflächige Bodenabsenkungen und Erderschütterungen auslösen, außerdem kann unter Umständen das als Trinkwasser genutzte Grundwasser durch aus der Tiefe hochgepumpte Stoffe verunreinigt werden.
Hallo,
meine Frau und ich finden den Blog klasse, bitte weiter so :)