Das Europäische Patentamt hat einen Präzedenzfall mit möglicherweise weitreichenden Folgen geschaffen: Es hat ein Patent auf Brokkoli erlaubt. 800 weitere Patentanträge liegen bereits vor. Die Patent-Gegner laufen Sturm.

Brokkoli darf patentiert werden. Gerste, Brot oder Bier könnten bald folgen. Das folgt aus einer wegweisenden Entscheidung des Europäischen Patentamtes zur Patentierung von Pflanzen und Tieren.

Brokkoli kann neu erfunden werden. Das ist das Resultat eines Rechtsstreits vor dem Europäischen Patentamt in München. Eine für kommenden Mittwoch angesetzte Anhörung ist abgesetzt worden, weil sich die Streitparteien geeinigt haben. Die britische Firma Plant Bioscience verzichtet auf ihr Schutzrecht für das Zuchtverfahren, nicht aber auf ein Patent für die Pflanze. Die Kläger – die beiden Konkurrenten Syngenta und Limagrain – erklärten sich einverstanden.

Eine endgültige Entscheidung bleibe der Großen Beschwerdekammer der Behörde vorbehalten, betonte ein Sprecher des Patentamts. Es sei aber klar, das das Pflanzenpatent EP 1069819 bestätigt und nur das für das Verfahren gestrichen wird, räumte ein Insider ein. Patentgegner, die für kommenden Mittwoch zu einer Demonstration vor dem Münchner Patentamtsgebäude aufgerufen hatten, reagierten empört. „Das ist der befürchtete Präzedensfall“, sagt Christoph Then, der wissenschaftliche Berater der Umweltorganisation Greenpeace.

Die Entscheidung sei wegweisend, denn das Amt erlaube damit die Patentierbarkeit von Pflanzen und Tieren. Das lasse eine Flut weiterer Schutzrechte erwarten. Rund 800 Anmeldungen auf Pflanzen und Tiere lägen bereits vor. So wolle sich eine australische Forschungseinrichtung eine besonders gut verdauliche und zur Herstellung von Brot geeignete Gerste patentieren lassen. Auch eine pilzresistente Gurkenart solle demnächst patentiert werden.


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50 Prozent teuer als normaler Brokkoli

Einen Vorgeschmack darauf, wie die Zukunft aussehen könnte, gibt das Beispiel Brokkoli. Den hat Plant Bioscience nicht etwa gentechnisch verändert. Das Unternehmen hat es mit herkömmlichen Züchtungsmethoden geschafft, eine Sorte Brokkoli hervorzubringen, die besonders viel eines natürlich im Gemüse vorkommenden Bestandteils enthält, der vor Krebs schützen soll.

Die Nutzung des Patents ist vom US-Saatgutkonzern Monsanto gekauft worden. Über die britische Supermarktkette Marks & Spencer verkauft er den vermeintlich vor Krebs schützenden Brokkoli unter dem Slogan „naturally better“ in Großbritannien sowie in den USA – und zwar mit einem satten Preisaufschlag, wie Greenpeace kritisiert. „Marks & Spencer verlangt 50 Prozent mehr als bei normalem Brokkoli“, sagt Then. Mit der Patententscheidung habe Monsanto Rechtssicherheit. Damit drohe der Brokkoli auch auf den deutschen Markt zu kommen, wenn Monsanto einen Handelspartner findet.

Derartige Szenarien wollte das Bündnis „No patents on seeds“ (keine Patente auf Saatgut) verhindern. Darin zusammengeschlossen haben sich mehr als 300 Organisationen wie Greenpeace, Misereor oder der Bund für Umwelt und Naturschutz, aber auch Bauernverbände und Pflanzenzüchter, die eine Monopolierung der Landwirtschaft über Patente befürchten. Auch Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner sympathisiert mit den Kritikern.

„In Zeiten, in denen etwa eine Milliarde Menschen hungern, ist es unmoralisch, Lebensmittel durch Patentmonopole künstlich zu verknappen und zu verteuern“, kritisiert Misereor-Expertin Kerstin Lanje. Konzerne wie Monsanto würden mit der neuen Rechtsprechung im Rücken das Patentrecht missbrauchen, um aus Lebensmitteln Spekulationsobjekte zu machen. Das Patentamt selbst hat stets beteuert, an bestehende Gesetze gebunden zu sein und keinen Spielraum zu haben. Die Patentkritiker sehen nun die Politik in der Pflicht. „In den Griff bekommen kann man das letztlich nur auf EU-Ebene“, sagt Then. Nur die Politik könne jetzt noch Konzerne wie Monsanto stoppen. Dazu müssten Patentgesetze geändert und eindeutig formuliert werden. Der Bundestag berate aber seit mehr als einem Jahr über einen Antrag und komme zu keinem Ergebnis.

Hintergrund

Der Brokkoli-Entscheid gilt als Dammbruch zugunsten einer Patentierbarkeit von Pflanzen und Tieren. Rund 80 solcher Patente wurden bislang erteilt, zwei davon (Brokkoli und Tomate) angefochten. Der Brokkoli war das erste Schutzrecht das wieder gekippt werden sollte. Für den 8. November ist vor dem Europäischen Patentamt eine öffentliche Anhörung zur sogenannten Schrumpeltomate geplant. Auch sie ist nicht gentechnisch verändert, enthält aber besonders wenig Wasser und ist deshalb zur Herstellung von Ketchup prädestiniert. Zum Patent angemeldet hat sie der Staat Israel. Dagegen klagt der niederländisch-britische Nahrungsmittelkonzern Unilever. Brokkoli und Tomate zeigen, dass Genpatente auf Lebensmittel nur einen kurzen Höhenflug hatten. Die Industrie hat erkannt, dass sie mit naturnahen Züchtungen billiger, schneller und verlässlicher zum Ziel kommt. Was Züchter traditionell unter freiem Himmel tun, wird lediglich ins Labor verlegt. Wenn Nahrungsmittel patentiert werden, kann das weitreichende Folgen haben. So hat der Saatguthersteller Monsanto von US-Bauern über 20 Millionen Dollar Schadenersatz für patentiertes Saatgut erstritten. Die verfügbare natürliche Vielfalt wird auf diese Weise ökonomisch eingeschränkt und monopolisiert, sagen Kritiker. „Wir dürfen nicht zulassen, dass es zu einer kommerziellen Privatisierung unseres Naturerbes durch die Hintertür kommt“, hatte Bundeslandwirtschaftsministerium Ilse Aigner im Zuge des Brokkoli-Streits gefordert.

Quelle: Badische-Zeitung

Update 12.06.2013
https://www.greenpeace.de/themen/gekoepfter-brokkoli-patent-fuer-monsanto
Wichtige Links zu diesem Thema:

Doku-Deutsch: Monsanto – Mit Gift und Genen (deutsch)
Documentary-English: Monsanto – Controlling our Food (english)

Monsanto muss Milliarden-Strafe zahlen