Fremdenangst sei eine ganz normale, menschliche Reaktion, glaubt die Psychoanalyse seit Langem. Der Zürcher Psychoanalytiker und Ethnologe Prof. Mario Erdheim: „Eine Kultur ohne Fremdenangst gibt es nicht.“ Die These, dass daraus Rassismus erwachsen kann, unterstützt jetzt eine neue Untersuchung des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit in Mannheim mit Kindern, die am sogenannten Williams-Beuren-Syndrom leiden. Menschen mit diesem speziellen Gendefekt fallen durch ungewöhnliche Freundlichkeit auf und dadurch, dass sie ohne Argwohn und Angst sind. Die Mannheimer Untersuchung, die Reaktionen von erkrankten mit denen von gesunden Kindern verglich, zeigt, wie fest die Skepsis gegenüber Fremden verankert ist – bei den „normalen“ Kindern. Der Versuch: Beiden Gruppen wurde eine Geschichte erzählt, in der eine Person mit guten, eine zweite mit schlechten Eigenarten vorkam. Gleichzeitig wurden ihnen Bilder von je zwei Kindern vorgelegt, die sich allein durch die Hautfarbe unterschieden.

Dann wurden sie gefragt, welche Rolle sie welchem dieser Kinder zutrauen. Während die am Williams-Beuren-Syndrom Erkrankten den schwarzen Kindern ebenso oft positive wie negative Eigenschaften zuordneten, vermuteten die Kinder ohne Erkrankung bei den schwarzen die negativen Eigenschaften. Sie meinten sogar, dass die Dunkelhäutigen hässlich, gemein und dumm seien. Der Zürcher Wissenschaftler Prof. Erdheim beschreibt den Übergang von Fremdenangst zu Rassismus als einen Akt gesellschaftlicher Unfähigkeit. Wenn etwa Privilegien umverteilt würden und Armut entstehe, beginne man Fremde als bedrohlich zu empfinden. Erdheim: „Dann kommt Rassismus ins Spiel, indem die Fremden benutzt werden, die eigene Unterprivilegiertheit zu erklären. Die haben dann Schuld an der eigenen, schlechten Lage.“ Damit vermeide man, die Unfähigkeit einzugestehen, mit den eigenen Problemen umzugehen.