Die biologische Produktivität der Erde hat in den letzten Jahrzehnten leicht zugenommen. Das zeigen Satellitenmessungen seit Anfang der achtziger Jahre. Das Grün der Erde wird von der Menschheit auf vielfältige Weise traktiert. Regenwälder werden gerodet, Riesenstädte breiten sich aus, Industrieanlagen überdecken fruchtbares Land. Obendrein beeinflusst der Klimawandel die Vegetation. Welche Folgen haben höhere Temperaturen und veränderte Niederschläge? Beeinträchtigen ausgedehnte Dürren das Pflanzenwachstum, oder wirkt mehr CO2 in der Luft im Gegenteil wie zusätzlicher Dünger?
Seit rund dreißig Jahren kann mittels Satellitenmessungen, die eigentlich nur zur Beobachtung des Wetters gedacht waren, die pflanzliche Produktivität auf der gesamten Erde kontinuierlich verfolgt werden. Die Wettersatelliten umkreisen die Erde über die Pole in etwas 800 Kilometern Höhe mit einer Umlaufzeit von rund 100 Minuten. Das bedeutet, dass der rotierende Globus in knapp zwei Tagen komplett von der Satellitenbahn überstrichen wird, jedes Gebiet der Erde also im Jahresverlauf etwa 170-mal ins Blickfeld des Satelliten gerät.
Im Jahr 1981 setzte die National Oceanic and Atmospheric Administration (NOAA) der USA erstmals einen Satelliten ein, dessen Sensoren in zwei Kanälen rotes sichtbares Licht ( 580 bis 680 Nanometer Wellenlänge) und Infrarotstrahlung ( 700 bis 980 Nanometer) registrierten, um Wolken, Meereis und Schnee sowie die Oberflächentemperatur der Ozeane zu erfassen.
Grüne Blätter
Der bei der Nasa beschäftigte Biologe Compton Tucker erkannte aber, dass die Messwerte auch exakte Informationen über die pflanzliche Produktivität liefern. Denn das Chlorophyll in grünen Blätter absorbiert rotes Licht weitaus stärker, als tote Materie dies tut. Der Reflexionsgrad von lebenden Pflanzen ist im roten Bereich des Lichtspektrums also niedrig. Der Effekt ist umso größer, je intensiver die Photosynthese abläuft. Welkt das Blatt, weil beispielsweise zu wenig Wasser zur Verfügung steht, sinkt die Absorption von rotem Licht, das heißt, der Reflexionsgrad steigt an.
Als Maßzahl für die pflanzliche Produktivität ist der „normalisierte differenzierte Vegetationsindex“ (NDVI) entwickelt worden. Dazu werden die Reflexionsgrade vom „roten“ und „infraroten“ Kanal nach einer bestimmten Formel so zueinander ins Verhältnis gesetzt, dass sich theoretisch Werte zwischen 0 und 1 ergeben können. Tatsächlich liegen sie je nach Vegetationsart und Klimazone zwischen 0,1 und 0,8 und weisen im Jahresverlauf spezifische Schwankungen auf. Ein tropischer Regenwald hat einen gleichbleibend hohen NDVI – von 0,8, die Savanne kommt nur auf 0,2 bis 0,3.
Ein dichter europäischer Laubwald erreicht im Frühsommer 0,6 und sinkt mit Herbstlaub auf 0,15. Ein ähnlicher Verlauf ergibt sich für Ackerflächen. Die einzelnen übers Jahr ermittelten Messwerte werden zu einem NDVI-Jahreswert kumuliert. Er ist ein Maß für die biologische Produktivität der betrachteten Fläche. Von besonderem Interesse ist dabei, ob sich von Jahr zu Jahr Änderungen ergeben, ob ein positiver oder negativer Trend „Greening“ oder „Browning“, vorliegt. Weist beispielsweise ein Wald infolge von Trockenheit einen geringeren Holzzuwachs aus, schlägt sich das im NDVI nieder.
Die bis 1982 zurückreichenden Zeitreihen liefern ein objektiveres Bild der Vegetationsentwicklung als Beobachtungen und Untersuchungen am Boden, die immer nur punktuell sein können. So wurde der Sahelzone seit der Dürre Mitte der achtziger Jahre aufgrund zahlreicher Berichte die Desertifikation, eine weitere Entwicklung Richtung Wüste, prophezeit. Eine von den Vereinten Nationen in Auftrag gegebene Studie (Millennium Ecosystem Assessment) kam 2005 zu dem Schluss, die Lebensgrundlagen künftiger Generationen seien nicht mehr gesichert. Ein ebenfalls von den Vereinten Nationen initiiertes Programm, „Global Land Project“, hat diesen Eindruck jedoch zurechtgerückt. Ein Autorenteam um Rasmus Fensholt von der Universität Kopenhagen berichtet von einem klaren Anstieg der NDVI-Werte. Die Region sei dabei, sich von der Dürre zu erholen. Als Hauptursache gilt vermehrter Regen. In Senegal und am Niger in Mali seien allerdings auch negative Trends festzustellen, was mit einer starken Zunahme der Bevölkerungsdichte zusammenhängen könne.
Menschliche Aktivität
Am Institut für Fernerkundung der Universität Zürich sind die NDVI-Daten der Jahre 1982 bis 2008 für die gesamte Erde aufs analysiert worden. Rogier de Jong hat dabei den Effekt entdeckt, dass auf großen Teilen der Erdoberfläche abwechselnd Greening und Browning auftritt und der Trend jeweils einige Jahre anhält. Vor allem auf der Südhalbkugel sei zu beobachten, dass einem abruptem Greening oft ein allmähliches Browning folge. Das deute auf einen Zusammenhang mit dem Klimaphänomen „El Nino / La Nina“ hin, den Temperaturschwankungen im tropischen Pazifik. In bestimmen Regionen wie beispielsweise in Südafrika ließe sich Browning nicht auf klimatische Variablen zurückführen. In diesen Fällen sei die Ursache bei menschlichen Aktivitäten wie Überweidung zu vermuten. Generell überwiege in allen Vegetationstypen Greening, so dass der globale NDVI-Wert in den vergangen Jahrzehnten leicht angestiegen sei.
Demnach kann der Klimawandel bis jetzt die Vegetation der Erde insgesamt nicht geschädigt haben, sondern hat den Verlust von Grünland sogar noch kompensiert. In der Tat hat Steven Running von der Universität Montana unter Verwendung von NDVI-Werten ermittelt, dass die Biomasseproduktion der Erde bei jährlichen Schwankungen von weniger als 2 Prozent in den vergangenen drei Jahrzehnten praktisch gleich geblieben ist. Wenn die Modellrechnungen des Uno-Klimarats (IPCC) nicht völlig falsch sind, wird die Menscheit auch in Zukunft nicht auf verlorenem Posten stehen. Im 4.IPCC Bericht von 2007 ist für zwei Klimamodelle dargestellt, wie sich die Vegetation bis 2100 gegenüber heute verändert. Die Grüntöne überwiegen die Brauntöne.
Quelle
Von Hans Dieter Sauer
NZZ