Christoph Keese über die Axel-Springer-Beteiligung an NewsRight, Nutzerdaten und den Geschenkeladen Europa
Im August 2011 haben 29 prominente Verlage, darunter Hearst, die New York Times Corp. und The Associated Press, in den USA das Start-up NewsRight gegründet, einerseits um Lizenzrechte gebündelt anzubieten, andererseits um neue Services anhand detaillierter Nutzerdaten zu etablieren. Die Axel Springer AG hat sich als einziger deutschsprachiger Verlag an der kolportierterweise 30 Millionen Dollar teuren Startinvestition beteiligt. Konzerngeschäftsführer Christoph Keese sprach mit derStandard.at über die neuen Einkommensquellen und die Situation in Europa.
derStandard.at: Will sich NewsRight zu einer weltweiten Schaltzentrale für Nachrichten machen?
Christoph Keese: Eher zu einem Clearinghouse für Rechte an journalistischen Inhalten und zu einem Anbieter anonymisierter Marktdaten. NewsRight hat eine Technologie von Associated Press übernommen, die seit Jahren einen Datenpool mit interessanten, strikt anonymisierten Daten über das Leseverhalten des Publikums aufbaut. Man kann damit in Echtzeit Themenkonjunkturen verfolgen und quer über alle beteiligten Nachrichtenwebseiten erheben, welche Themen derzeit auf wie viel Resonanz stoßen. In Kombination mit semantischen Analysen können daraus wertvolle Analyse-Instrumente für die Wirtschaft entstehen, die automatisierte Aussagen darüber erlauben, was und mit welchem Sentiment die Presse gerade zu welchem Thema oder Produkt schreibt.
derStandard.at: Wie kann NewsRight feststellen, wann ein Text auf einer fremden Webseite verwendet wird?
Keese: NewsRight nutzt die von AP entwickelte Technologie „News Registry“. In die redaktionellen Beiträge sind Tags eingebaut, die den Artikel auf seinem gesamten Weg durch das Netz begleiten, vorausgesetzt, dass die Tags nicht rechtswidrig und vorsätzlich von Dritten gelöscht werden. Die Tags bilden einen „Beacon“, also einen Leuchtturm, der ständig Informationen über seinen Standort sendet. Er übermittelt auch Informationen zur Nutzungsintensität des Beitrags, beispielsweise darüber, ob nur Überschrift und Vorspann gelesen werden oder der gesamte Text beziehungsweise Teile davon. Diese Technologie kann Fragen beantworten wie: „Wie oft ist dieser AP-Artikel über Mitt Romney bei Facebook und Twitter in den vergangenen sechs Stunden gepostet oder verlinkt worden?“ Oder: „Wie oft taucht der Leitartikel des ‚Boston Globe‘ über Libyen derzeit außerhalb der Original-Website auf?“
derStandard.at: Wenn man den Code löschen kann, macht das Grauzonen auf.
Keese: Gegen rechtswidrige und böswillige Löschung des Codes ist man nie gefeit. Allerdings hat sich in der jahrelangen Erfahrung mit News Registry gezeigt, dass erfreulich viele Seiten den Code respektieren. Man darf nicht übersehen, dass der amerikanische Digital Millennium Copyright Act (DMCA) das Entfernen von Urheberrechtsinformationen unter Strafe stellt. Eine Vielzahl veritabler Unternehmen respektiert den Code und löscht ihn nicht. Sicher gibt es auch Piraten, die gegen das Gesetz verstoßen. Das ändert aber nichts daran, dass es einen großen Markt für legale Nutzung gibt. Diesen Markt erschließt NewsRight jetzt systematisch. NewsRight ist kein Abmahnverein, der darauf abzielt, Kopien zu verbieten. Ganz im Gegenteil: NewsRight ermuntert zum Kopieren und bietet die entsprechenden Lizenzen an. Die ersten Reaktionen im Markt sind positiv.
derStandard.at: NewsRight verkauft also Lizenzen und liefert Nutzungsdaten, Textpiraterie müsste das Unternehmen aber selbst ahnden.
Keese: Richtig.
derStandard.at: Welche erzieherische Konsequenz wird es geben, wenn die Leute nicht freiwillig lizenzieren?
Keese: Im legalen Markt zeichnet sich Aufgeschlossenheit ab, denn alle beteiligten Parteien haben ein Interesse an geklärten Rechten: die Verlage, die Aggregatoren, die Investoren, die Kunden der Aggregatoren. Die Aggregatoren wissen aus eigener Erfahrung, wie schwierig und teuer Rechteklärung in großem Maßstab ist. NewsRight bietet Rechte und Daten an, die auf dem derzeitigen Markt nicht erhältlich sind. Zwei Beispiele: Volltext-Aggregation in Ergänzung zu Snippets oder RSS-Feeds. Und Hitlisten-Marker nach dem Muster: „Dieser Beitrag gehört zu den Top Ten, die quer durchs Web gerade gelesen werden.“ Leistungen wie diese können die Angebote der Aggregatoren weiter verbessern und haben damit einen eigenen kommerziellen Wert. Insofern bedarf es im legalen Markt vermutlich gar keiner „erzieherischen Konsequenzen“. Auf dem illegalen Markt mag das anders aussehen, aber wie gesagt: NewsRight ist kein Abmahnverein.
derStandard.at: Der Wettbewerb am amerikanischen Markt könnte aufgrund der Präsenz anderer etablierter Clearinghäuser schwierig werden.
Keese: NewsRight sammelt keine exklusiven Rechte ein, sondern ausschließlich nichtexklusive. Es gibt in diesem Sektor natürlich Wettbewerb, nicht zuletzt durch die Verlage selber, deren Vermarktungsverträge unverändert bestehen bleiben. Platz gibt es allerdings genug. Während Aggregatoren zu Dutzenden aus dem Boden schießen, bleibt die Szene der Vermarkter eher überschaubar. Derzeit wird der Rechtekatalog NewsRight systematisch und zügig ausgebaut und auch die Datenqualität nimmt beständig zu. Das lässt interessante Analysen zu. Wer hätte vorher schon geahnt, dass rund die Hälfte aller Postings bei Facebook auf professionelle Inhalte verlinken oder sie direkt einbinden? Der Markt für Inhaltevermarktung ist in den USA stark in Bewegung geraten ist, während in Europa noch das Modell „Wir verschenken Journalismus an jedermann“ vorherrscht. Vielleicht sollte Europa entschlossener an neue Markt- und Verkaufsformen herangehen.
derStandard.at: Plant Axel Springer, diese Lücke zu füllen?
Keese: Einen kleinen Teil können wir vielleicht dazu beitragen. Es wäre aber gut, wenn es mehr Bewegung in Europa gäbe. Wichtige Teile der neuen Wertschöpfungsketten sind heute in amerikanischer Hand. Nehmen Sie Suchmaschinen: Google, Bing, Yahoo, in Zukunft wohl auch Wolfram Alpha. Soziale Netzwerke: Facebook, Twitter. Content-Aggregatoren: Flipboard, Zite, Yahoo Livestand, Google Currents, Pulse, News.me, Flud, Reddit, Readitlater, Readable und viele andere mehr. Zahlreiche Content-Aggregatoren bieten mittlerweile eine ausgefeilte Integration von Desktop und Mobil an. Man setzt im Büro per Browser-Plug-in einen Haken bei einem Artikel, den zu lesen man jetzt nicht schafft, und findet diesen Beitrag – von Werbung befreit – in der Bahn nach Hause zum Lesen auf dem iPad vor. Das sind wichtige Mediennutzungsformen der Zukunft, an denen Verlage per Lizenzierung von Inhalten beteiligt sein sollten.
derStandard.at: Wie wird der Preis für die Content-Lizenzen festgelegt? CEO David Westin kann sich sogar einen Auktionsmodus vorstellen.
Keese: In das Preismodell fließen zahlreiche Faktoren mit ein, wie die Zahl der gewerblichen Kunden des Aggregators, die Größe dieser Kunden und die Größe des Aggregators. David Westin hat zu Recht darauf hingewiesen, dass auch Realtime-Preismodelle denkbar wären. Dies würde die Marktdynamik weiter erhöhen. Ein Start-up mit einer guten Idee für einen Content-Aggregator könnte sich per Mausklick die Rechte sofort besorgen.
derStandard.at: Wie können Paywall-Anbieter NewsRight in ihre Strategie integrieren?
Keese: Gerade Paywall-Anbieter sollten an NewsRight interessiert sein, denn sie bekommen so die Möglichkeit, einen weiteren Weg der Monetarisierung zu entwickeln. Die Preismodelle und Angebotsformen lassen sich so gestalten, dass keine gegenseitige Kannibalisierung stattfindet.
derStandard.at: Soll das Portfolio um Fotos und Videos erweitert werden?
Keese: Das ist durchaus denkbar. Es liegen erste Interessenbekundungen aus dem Markt vor. CEO David Westin bringt als ehemaliger Chef von ABC News wichtige Erfahrungen in diesem Sektor mit.
derStandard.at: Die grundlegende Technologie News Registry sammelt bereits seit drei Jahren Daten über die Verwendung von Nachrichten im Netz. Gab es schon überraschende Erkenntnisse?
Keese: Der Anteil der Leser, die sich mit Snippets bei Aggregatoren wie Google zufriedengeben, ist höher als erwartet. Entsprechend ist die Klickrate niedriger als früher gedacht. Der traditionelle Tausch „Content gegen Traffic“ erscheint zunehmend aus der Balance zu geraten. Damit besteht Anlass, die kostenlose Bereitstellung von Inhalten in Frage zu stellen.
derStandard.at: Gibt es konkrete Zahlen zum Ausmaß der Textpiraterie im deutschen Sprachraum?
Keese: News Registry ist in Deutschland nicht implementiert und es liegen keine aggregierten Zahlen für die Branche vor. Man kann aber gesichert sagen, dass die ungenehmigte Übernahme von Texten zum Volkssport geworden ist. Mal geschieht das in harmloser Absicht, um einen Text schnell im Kollegenkreis herumzumailen, ins Intranet zu stellen oder mit Copy & Paste in einen Blog zu heben. Und mal steckt dahinter die kriminelle Absicht, fremde Inhalte auf eigenen Seiten mit Werbung zu monetarisieren. Die Verlockung ist sehr groß, weil es technisch so einfach ist.
derStandard.at: Wie sieht es mit den Fortschritten zur Verabschiedung eines Leistungsschutzrechts in Deutschland aus?
Keese: Der Gesetzentwurf liegt dem Vernehmen nach im Bundesjustizministerium vor. Wir kennen ihn allerdings noch nicht und können daher auch nichts zu seinem konkreten Inhalt sagen. Der nächste Schritt wäre, dass das Ministerium den Entwurf ins Kabinett einbringt. Von dort aus geht er dann ins Parlament.
derStandard.at: Plant NewsRight, auch in Europa aktiv zu werden?
Keese: NewsRight ist eine amerikanische Firma, die sich mit der Lizenzierung amerikanischer Inhalte beschäftigt. Eine Internationalisierung ist denkbar.
derStandard.at: Wie kam es dazu, dass Axel Springer bei NewsRight Gesellschafter wurde?
Keese: Wir pflegen seit Jahren einen intensiven transatlantischen Austausch zu Urheberrechtsfragen. Die Rechtslage ist hüben und drüben zwar sehr unterschiedlich, aber es gibt gemeinsame Interessen. Im Zuge dieses Austauschs haben wir früh von dem Projekt erfahren und sind eingeladen worden mitzuinvestieren.
derStandard.at: NewsRight konzentriert sich auf den amerikanischen Markt. Welche Erlösströme erwarten Sie?
Keese: Wir erwarten keine Erlöse aus der Lizenzierung deutschsprachiger Inhalte, da der US-Markt dafür sehr klein sein dürfte. Als Mitgesellschafter sind wir jedoch an den Ergebnissen von NewsRight beteiligt.
derStandard.at: Was bedeutet das Auftauchen von News Registry für die Zukunft?
Keese: Es gibt einen Markt für aggregierte Produkte. News Registry liefert die Datengrundlage, um Volumen und Entwicklung dieses Marktes abzuschätzen. Außerdem entstehen aus News Registry interessante Daten, die ihrerseits am Markt monetarisiert werden können. NewsRight als Ganzes bietet Verlagen die Chance, am Boom des Aggregations-Marktes wirtschaftlich teilzuhaben. (derStandard.at, 13.2.2012)
Zur Person: Christoph Keese (47) ist Vorstandsmitglied von NewsRight und leitet seit 2008 als Konzerngeschäftsführer den Bereich „Public Affairs“ der Axel Springer AG. Der studierte Wirtschaftswissenschaftler und Absolvent der Henri-Nannen-Journalistenschule ist Autor der Bücher „Rettet den Kapitalismus“ und „Verantwortung jetzt“.
Zu NewsRight: NewsRight Inc. wurde im August 2011 von 29 Verlagen gegründet und betreibt Büros in New York und Los Angeles. AP ist der größte Eigentümer und hat als Sacheinlage die 2009 entwickelte Software News Registry beigesteuert, deren Daten die Basis der derzeitigen Geschäftsfelder bilden. Der ehemalige ABC-Chef David Westin wurde zum Geschäftsführer ernannt, Axel Springer ist als Investor mit einem eigenen Sitz im Vorstand vertreten.