Gläserne Bürger. Am Sonntag, den 1. April 2012, tritt die Vorratsdatenspeicherung in Kraft. Nützliche Terrorabwehr oder Gefahr für die Demokratie? NEWS beantwortet die wichtigsten Fragen zum Daten-Gesetz.

Der SMS-Verkehr mit der Geliebten, vertrauliche E-Mails, alle Telefonate, die mit dem Handy getätigt werden, und ein komplettes Bewegungsprofil: Durch die Vorratsdatenspeicherung (VDS) müssen Provider alle diese Daten in Zukunft sechs Monate bereithalten. Der Staatsanwalt kann sie mit richterlicher Genehmigung einsehen – in manchen Fällen kann sogar die Polizei selbst zugreifen. Das Gesetz ist von der EU vorgeschrieben, soll bei der Bekämpfung von Kriminalität helfen und tritt am 1. April in Kraft. Doch nun, Tage vor dem Stichtag, rollt eine Widerstandslawine los.

Den Anfang machte die Initiative „AK Vorrat“, die bereits 80.000 Unterschriften gegen die Vorratsdatenspeicherung sammelte – und mit den Grünen am Freitag eine Verfassungsklage einbringt. Die Argumentation: „Das Sammeln von Daten unbescholtener Bürger widerspricht dem Schutz der Privatsphäre, wie er in Artikel 8 der Menschenrechtskonvention gesichert ist“, so Justizsprecher Albert Steinhauser. Dann startete das Internet-Kollektiv Anonymous eine Kampagne: Für den 31. 3. sind Trauermärsche geplant, und am 1. 4. will Anonymous aus Protest den Mailverkehr von Politikern aus SPÖ, ÖVP und FPÖ veröffentlichen (siehe Interview).

Schließlich springen nun die Freiheitlichen auf: Das Land Kärnten brachte am Dienstag eine Verfassungsklage ein. „Datenschutz muss über allem stehen“, sagte Landeshauptmann Gerhard Dörfler, der die Klage gegen die Stimmen von SPÖ und ÖVP beschloss. Deutschland, Rumänien, Tschechien und Bulgarien haben die VDS schon für verfassungswidrig erklärt.

NEWS erklärt mithilfe der Arge Daten, was die Vorratsdatenspeicherung bringt, was sie für den Bürger bedeutet – und wie man die Privatsphäre trotzdem schützen kann.

Was wird gespeichert – und warum?

Provider müssen künftig sechs Monate lang speichern, wer wann mit wem telefoniert oder gesimst hat, wer wem ein E-Mail geschrieben hat, wo sich Handys dabei aufgehalten haben und wann ein Computer im Internet engeloggt war. Auch E-Mails, die über Webmail geschickt werden, sollen erfasst werden. Nicht gespeichert werden die Inhalte der Gespräche und E-Mails sowie welche Internetseiten angesurft wurden – auch wenn dies bereits gefordert wird. Der Grund: „Die Speicherung ist essenziell für Ermittlungen“, sagt Friedrich König vom Justizministerium.

Was sind die größten Kritikpunkte?

Datenschützer kontern, dass die VDS in Ländern, in denen sie bereits umgesetzt wurde, nicht zur Verbrechensbekämpfung beigetragen hat – dabei aber Grundrechte verletze. „Die Daten werden unabhängig von einem konkreten Verdacht gespeichert. Das heißt, dass wir von einem wichtigen verfassungsrechtlichen Grundsatz abweichen: nämlich, dass der Bürger – so lange er sich nichts zuschulden kommen lässt – unbeobachtet leben soll. Nun wird jeder von vornherein als Verdächtiger behandelt“, kritisiert Hans Zeger von der Arge Daten. „Das ist ein Polizeistaat.“

Wer nichts zu verbergen hat, hat nichts zu befürchten – oder?

Das Problem sind nicht die Daten selbst – sondern die Interpretation aus Sicht eines Ermittlers. Wer etwa regelmäßig bei einem Pizzadienst bestellt, der der Geldwäsche verdächtigt wird, kann ins Visier geraten. Wer regelmäßig kurze Telefonate im Stadtpark führt, könnte das gleiche Kommunikationsmuster wie ein Drogendealer aufweisen. „Es kann dann äußerst schwer sein, zu beweisen, dass man nichts damit zu tun hat“, so Zeger.

Ebenfalls bedenklich: Bürger, die auf Missstände aufmerksam machen wollen, können leicht ausgeforscht werden. Wird etwa nach einem Aufdeckerbericht wegen Geheimnisverrat ermittelt, sind in der betroffenen Institution alle im Visier, die in den letzten sechs Monaten mit einem Medium telefoniert haben. „Die Gefahr besteht darin, dass der unbescholtene Bürger sich in Zukunft nicht mehr äußert“, so Zeger. „Wer hingegen wirklich kriminell ist, schützt sich jetzt schon.“ Ärzte, Anwälte oder Journalisten sind zwar ausgenommen – nicht aber deren Kontakte. Auch die Ärztekammer protestiert deshalb.

Wann bekommt der Staat die Daten?

Generell gilt: Ab Delikten, die mit mehr als einem halben Jahr Gefängnis bedroht sind, kann der Staatsanwalt mit richterlicher Genehmigung auf die gespeicherten Daten zugreifen, wenn der Provider zustimmt – bei Delikten, die mit mehr als einem Jahr bedroht sind, auch ohne Zustimmung. Beispiele sind etwa Amtsmissbrauch oder auch Bigamie. Nicht nur der Verdächtige selbst, sondern auch seine Kontakte und alle, die sich etwa in derselben Funkzelle befanden, können abgefragt werden.

Wie viele das treffen kann, zeigt die bisherige Praxis: In Kärnten etwa wurden nach Einbrüchen 40.000 Handys ausgeforscht, die sich in den fraglichen Funkzellen befanden – in Zukunft kann man bei allen sechs Monate rückwirkend Bewegungsprofile und Verbindungsdaten einsehen. Nur bei Gefahr im Verzug oder bei Verdacht auf kriminelle Vereinigung kann die Polizei die Daten auch ohne richterliche Genehmigung holen. Der Verdacht ist allerdings schnell gefasst, wie das Beispiel von neun ÖH-Funktionären zeigt, die wegen des Abwurfs von Flugblättern im Parlament als kriminelle Vereinigung eingestuft wurden. Verena Weiß vom Innenministerium beruhigt: Ein Rechtsschutzbeauftragter sichere die Rechte von Betroffenen.

Was passiert, wenn jemand Musik oder Filme herunterlädt?

Das Herunterladen ist nur strafbar, wenn es gewerbsmäßig geschieht – also regelmäßig und mit Gewinnabsicht. Die Musik- und Filmbranche neigt allerdings dazu, auch einzelne Verstöße als gewerbsmäßig zu verdächtigen, weil sie sonst nicht feststellen kann, wie oft ein User Musik oder Filme konsumiert hat. Dann kann auf die gespeicherten Daten zugegriffen werden.

Wie kann man seine Privatsphäre schützen?

Bei Handys gar nicht, beim Internet gibt es Lücken: Nur die großen Provider sind zur Speicherung verpflichtet. Die Arge Daten wird eine Liste veröffentlichen – wer seine Anonymität im Netz sichern will, kann auf kleinere Provider ausweichen. „Firmen empfehlen wir, den E-Mail-Verkehr selbst zu verwalten, dann fallen die E-Mails nicht unter die Aufzeichnungspflicht“, so Zeger. Beides ist nur bedingt nützlich: Denn beim Konterpart der Kommunikation können die Daten trotzdem gespeichert werden.

Quelle: News.at