Der Norweger Johan Galtung (81) ist Mathematiker, Soziologe und Politologe. Er gilt als Gründungsvater der Friedens- und Konfliktforschung und ist Träger des alternativen Nobelpreises.

Herr Galtung, Sie sagten einmal: „Ich liebe die US-Republik und ich hasse das US-Imperium.“ Was unterscheidet die beiden voneinander?

In diesem Moment bin ich in Manasse, in North Virgina. Es ist wunderschön. Wunderbare Leute, die innovativ sind, schöpferisch, großzügig. Es gibt Millionen und Millionen davon in den USA. Und dann gibt es das US-Imperium – und das tötet.

Was genau verstehen Sie unter „Imperium“?

Die US-Regierung, die militärische Führung, die Rüstungskonzerne – sie alle verfolgen eine Politik der Macht, der militärischen Stärke und der gewaltsamen Durchsetzung von US-Interessen weltweit.

Und warum sehen Sie den Zusammenbruch des „US-Imperiums“ für das Jahr 2020?

Meine Vorhersage stützt sich auf wirtschaftliche, militärische, politische und kulturelle Widersprüche. Die werden jeden Tag stärker und unerträglicher, und ihre Durchsetzung fügt den Verbündeten immer öfter Schaden zu. Entsprechend wächst der Widerstand in den befreundenten Ländern gegen das Imperium. Ohne Verbündete kann jedoch keine Weltmacht existieren – sofern sie nicht alleine über den Planeten herrscht.

Was wird konkret passieren?

Ja – die Frage lautet, wo der Bruch stattfinden wird. Wie bei jedem Organismus wird das an der schwächsten und damit anfälligsten Stelle sein. Beim Sowjet-Imperium war es die Berliner Mauer. Bei den USA ist es die Überschuldung. Die USA haben 16 Billionen US-Dollar Schulden, das ist die größte Schuldenlast in der Weltgeschichte. Es werden längst nicht mehr die eigentlichen Schulden zurückgezahlt, sondern nur noch die daraus entstehenden fälligen Zinsen. Für die Bevölkerung steht immer weniger Geld zur Verfügung, der Wohlfahrtsstaat wird weiter beschnitten. Es wird eine große Armut geben, die Ungleichheit in der Gesellschaft geht weiter – das wird der große Schwachpunkt sein.

Und was kommt nach dem Fall?

Wenn das US-Imperium untergeht, bleiben die USA als Staat bestehen. Es folgt entweder eine Art Diktatur oder eine Blütezeit. Und ich sage eine Verschärfung der gegenwärtigen totalitären Tendenzen voraus. Damit meine ich die Durchsetzung politischer und wirtschafticher Interessen durch Einschränkung von Freiheit und die Anwendung von Gewalt. Das sehen wir ja heute schon: Die USA sind zu einem Staat mutiert, der die eigenen Bürger ausspioniert.

Welche Macht hat da ein Barack Obama?

Keine Frage – Obama ist gebildet und kultiviert, aber machtlos. Er ist von der Wall Street abhängig, von militärischen Führungen und den Rüstungskonzernen. Obama hat keine eigene Linie, und es ist ein Leichtes für die politischen Eliten in Washington, mit ihm zu spielen. Der US-Präsident (anmk. ImportantLinks: auf jeden US-Präsident bezogen) ist ein politischer Zwerg in einem riesigen Apparat.

Wer hat denn dann das Sagen?

Es gibt vier Eliten. Ökonomisch sind es die Banken und die Börse. Nummer zwei ist die militärische Elite, das sind das Pentagon und die CIA. Hier hat Obama tatsächlich etwas bewegt und Entscheidungen getroffen, die ich allerdings für gefährlich halte. Mit dem massiven Einsatz von Kampfdrohnen hat er die Bekämpfung des Terrorismus dem relativ öffentlichen Pentagon entzogen und der geheim operierenden CIA übertragen. Damit hat er die Kriegsführung jeglicher Kontrolle durch das Parlament entzogen. Die politische Elite besteht aus Demokraten und Republikanern. Beide Parteien sind sich im Grunde sehr ähnlich und im Wesentlichen bestrebt, um jeden Preis wiedergewählt zu werden. Der Mut zu Reformen ist hier nicht zu erwarten. Zum Schluss die kulturelle Eliten: Da kämpfen vor allem christliche-zionistische Fundamentalisten um politische Macht und Einfluss, indem sie Millionen von Amerikanern hinter sich versammeln. Für den US-Präsidenten bedeutet dies, das sein Spielraum schrumpft.

Wird China die Rolle der USA als Imperium übernehmen?

China ist kein Imperium, weil es weder militärisch auftritt, noch über nennenswerte Verbündete verfügt. Sicher China hat ökonomische Macht, aber die ist von der Weltwirtschaft abhängig. Die Vereinigten Staaten werden möglicherweise das letzte Imperium sein. Viel mehr werden regionale Bündnisse wie die Europäische Union entstehen. Ohne die Weltpolizei USA werden sie alle eigene Antworten finden müssen.

Qelle: Interview mit WdW Redakteur Nuno Ramos