Die Hacker-Bewegung in Brasilien wächst wie kaum in einem anderen Land. Zahlreiche Initiativen setzen sich zur Stärkung der Zivilgesellschaft für Open Government und Open Data ein. Um auch abgelegene Teile des Landes ins digitale Zeitalter zu führen, machen die Hacker sogar mobil – und gehen mit einem per Crowdfunding finanzierten Omnibus auf Reisen. Bianca Santana und Pedro Markun fahren regelmäßig mit dem Bus auf das Land. Allerdings nicht mit dem Linienbus, sondern mit dem “Hackerbus“. Seit Dezember gehen in dem bunt bemalten Reisebus bis zu 40 Programmierer, Juristen, Journalisten, Künstler und Designer regelmäßig auf Tour, um gemeinsam mit Projekten die Zivilgesellschaft zu stärken. Das Kollektiv erklärt, wie man Internetanschlüsse auf mehrere Rechner aufteilt, Wikis aufsetzt oder die Lokalpolitik mit Online-Aktionen und Social Media unter Druck setzt.

Für die Workshops, bei denen es in erster Linie um “Do-it-yourself”-Wissen geht, fahren die Hacker teilweise tagelang durch Brasilien und bleiben bis zu einer Woche an einem Ort.

Entstanden ist die Idee Ende 2011 im Hackerkollektiv “Transparência Hacker” in der 18-Millionen-Metropole und Wirtschaftszentrum São Paulo. Beim Hackday 2009 hatte sich das Kollektiv aus einer Google-Gruppe gebildet. Jetzt will die Szene in weitere Teile des Landes ausschwärmen. “Es war einfach ein großer Traum von mir: Warum haben wir keinen Bus voll mit Hackern und bringen unser Wissen raus aus der Stadt?”, erzählt Pedro.

Gesagt, getan: Ein alter Mercedes-Bus wurde per Crowdfunding von mehr als 800 Spendern finanziert, passend umgebaut und mit Graffiti verschönert.

Hack ins Gesetz

Ein großes Problem Brasiliens ist die Korruption, die durch fehlende Transparenz der politischen Entscheidungswege ermöglicht wird. Auch hier schaffen die Hacker Abhilfe. Ein erfolgreiches Projekt, welches im “Casa da Cultura Digital” in Sao Paulo entstanden ist, heißt “Queremossaber“, zu Deutsch: Wir wollen wissen. Die Aktion beruht auf dem in Brasilien neu geschaffenen “Freedom of Information”-Gesetz. Dieses wurde Ende 2011 vom Parlament verabschiedet und tritt ab Mai 2012 in Kraft.

Bei der Ausarbeitung des Gesetzes hatte der Kongress produktive Unterstützung der Aktivisten gefordert, mit dem Ergebnis, dass sogar einige Teile des Gesetzes aus der Aktivistenfeder stammen.

Mit Hilfe der Plattform werden nun – basierend auf dem neuen Gesetz – Informationsanfragen an die Politik formuliert und eingereicht. Das Ziel: Den Dialog zwischen Zivilbevölkerung und Regierung zu stärken. Als technologisches Vorbild dienten die Websites der “mysociety”-Initiative aus England. Bereits jetzt kooperieren viele Politiker und beantworten die Anfragen.

Digitale Brechstange Brasiliens

Und überhaupt sind Transparenz und Open Government der Antrieb vieler Aktionen. Ein weiteres Projekt aus dem Haus der digitalen Kultur ist die Website “Joga da Vidados Processos Legislativos” (deutsch: Spiel des Lebens für Legislativprozesse), die Stück für den Stück den Weg eines Gesetzes nachzeichnen soll. “Die Seite soll helfen, ein Gesetz anzufechten, bevor esüberhaupt in Kraft treten kann”, sagt Pedro. “Wir kämpfen immer gegen fertige Gesetze an, so können wir mal einen Schritt voraus sein.”

Die Zivilgesellschaft wird stärker und stärker und Hacker haben einen maßgeblichen Anteil daran. Doch ihren Unmut über die Regierung lässt die Hackergemeinde nicht nur in friedliche “White-Hat-Projekte” einfließen – sie greift auch zu härteren Mitteln.

Vor wenigen Tagen wurde die Website der Großbank Itau von von Black-Hat-Hackern des Anonymous-Kollektivs kurzzeitig lahmgelegt. Die Bank finanzierte laut Anonymous den heftig kritisierten Sturm auf die Favela Pinheirinho und sei angeblich Teil des Korruptionssystems. Weitere Attacken auf andere Banken folgten. Auch der Medienriese Globo fiel vor kurzem Hackeraktionen zum Opfer. Pedro sieht das ganz pragmatisch: “Hauptsache ist, man tut etwas, um auf die Lage im Land aufmerksam zu machen. Besser, als wenn man nichts täte.”

von: Torsten Müller

Quelle: http://blog.zdf.de/hyperland/2012/02/brasilien-hacking-auf-raedern/